Was sagt Juri dazu?
Schluss mit Spucken und Rülpsen - Chinesen sollen gute Manieren lernen - Wirtschaft boomt, Sitten hinken hinterher Von Benjamin Morgan
Schanghai, 14. Februar (AFP) - China mag die Wiege der Zivilisation
sein, doch um die Tischmanieren der Chinesen ist es schlecht
bestellt - das jedenfalls beklagt June Yamada. Die chinesische
Variante des Freiherrn Knigge will den Chinesen nun endlich
abgewöhnen, «wie Tiere zu essen». Vier Jahre lebte die
Sino-Japanerin in Schanghai, dann hatte sie genug davon: Spucken
auf dem Bürgersteig, Rülpsen bei Tisch und Drängeln in der
Warteschlange. Um Abhilfe zu schaffen, entwickelte Yamada einen
Kurs, «der Ihnen nach einer Woche garantiert ermöglicht, ohne
Probleme mit der Königin Elizabeth II. zu Tisch zu gehen»,
versichert die Dame. Nicht alle Experten sehen dieses westliche
Vorbild als Maßstab, doch sie stimmen zu, dass Chinas Manieren mit
der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nicht Schritt
gehalten haben.
`Natürlich wissen auch die Chinesen, dass Mode und Benehmen
irgendwie wichtig sind», sagt Yamada. «Doch was man alles damit
erreichen kann, ist ihnen nicht klar.» Die Olympischen Spiele in
Peking im Jahr 2008 und die Weltausstellung in Schanghai 2010
machten ein Überdenken der chinesischen Eigenheiten unumgänglich,
findet Yamada. «Jetzt ist es vorbei mit der alten Leier 'das ist
eben China, da kann man nichts machen'». Offenbar stößt die in
Tokio geborene Tochter japanischer und taiwanischer Eltern nicht
auf taube Ohren. Ihre Bücher «Fantastisch aussehen»,
«Internationale Tischmanieren» oder «Internationale Etikette»
verkaufen sich blendend.
Auch Yamadas Privatunterricht ist sehr gefragt, vor allem bei
selbstständigen Karrierefrauen, die dafür umgerechnet mehr als 85
Euro pro Stunde hinlegen. Dafür müssen sie sich dann anhören, dass
sie unmöglich angezogen sind oder eine schlechte Haltung haben.
Nicht alle sind in ihren Ansichten so streng wie Yamada. Der Chef
der Pekinger Akademie für Berufliche Bildung und Beratung, Yang
Jinbo, dessen Einrichtung Unterricht in Geschäfts-Etikette gibt,
will chinesische Eigenarten gewahrt wissen. Aber auch er räumt ein,
«dass die Olympischen Spiele und die Weltausstellung eine
Verbesserung des chinesischen Benehmens dringend erforderlich
machen».
Dabei hatten die Chinesen ursprünglich sehr komplizierte und
feinfühlige gesellschaftliche Gepflogenheiten. «Dazu gehört eine
gewisse Bescheidenheit, dass man niemals einen anderen beleidigt
oder verunsichert», erläutert Yang. Doch diese tausende Jahre alten
Traditionen wurden in Jahrzehnten kommunistischer Isolation einfach
hinweggefegt. Viele Bräuche wurden ganz bewusst abgeschafft, und
nur sehr alte Leute erinnerten sich noch an die Zeiten vor der
Revolution.
Doch jetzt stehen die Zeichen schon seit fast 25 Jahren auf
Wirtschaftsliberalisierung. Im Geschäftsleben zieht mehr und mehr
Freiheit ein, doch im gesellschaftlichen Umgang scheinen die
Maßstäbe zu fehlen. In Schanghai bemüht sich jetzt sogar die
Stadtverwaltung darum, ihren Bürgern ein wenig gute Manieren
beizubringen. «Sei ein liebenswerter Schanghaier», heißt es auf
riesigen Plakaten. Die Bürger sollen nur noch an der Ampel über die
Straße gehen, keinen Müll in den Parks hinterlassen und die
öffentlichen Toiletten nicht beschmutzen. «In Schanghai entwickelt
sich die Wirtschaft sehr schnell. Die Hardware macht uns keine
Sorgen, aber die Software, die Qualität unserer Bürger, schon»,
sagt der städtische Beamte Yang Yulin. «Dieses Land bewegt sich zu
schnell, die Leute kommen einfach nicht mit.»