Nachbarschaftshilfe und die korrekte Widerzität

ohne sie geht nichts und kompliziert sind sie alle, aber immer zu beherrschen, Geduld und viel viel Wasser in der Waage....

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be.audiophil
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Nachbarschaftshilfe und die korrekte Widerzität

Beitrag von be.audiophil »

Nein, ich möchte hier keinen Tuning-Ratgeber vom Stapel lassen. Dem Thema beschnittene Nadeleinschübe bei MM, Upgrade durch andere Nadelschliffe oder anderes Nadelträgermaterial oder Gehäuse aus anderen Materialien oder diverse Headshells, Schräubchen, Plättchen, Käbelchen und was sich da sonst noch in der Szene als angeblich gut hervortut, kann man sich meiner Meinung nach später immer noch widmen. Man tut allerdings eher gut daran um genau Jene, die am Meisten oder das was sie bewerkstelligen besonders blumig bewerben bis versprechen einen großen Bogen zu machen.

Zu Aller erst sollte man nämlich grundsätzlich verstehen, weshalb ein Tonabnehmer nun mal so tönt, wie er tönt, wenn er mit der heimischen Phonostufe verbandelt wird. Dass diese linear aufspielt und den Frequenzgang nicht verbiegt setze ich hierbei einfach mal voraus. Zudem lässt sich dies durch einfache Messung mit einer Anti-RIAA auch verifizieren; dazu aber ggf. später mehr. Hier an dieser Stelle nur soviel: Frequenzgangmessungen kann man mit Messschallplatte erledigen und den Fehler des nicht korrekten Abschlusses des Tonabnehmers in die Messung quasi permanent einfließen lassen oder man misst mit einer Anti-RIAA und schließt den evtl. vorhandenen Fehler wegen Fehlanpassung einfach aus. Hersteller machen Zweiteres und deshalb oder gerade trotzdem findet man auf dem Markt über alle Preisklassen hinweg eigentlich keine Phonostufen, welche einen Abweichung größer 1% in der RIAA bzw. dem sog. Amplitudenfrequenzgang aufweisen. Ohne (egal wie groß) Fehlanpassung des Tonabnehmers wären also eher keine klanglichen Unterschiede zwischen Phonovorverstärkern wahrnehmbar; zumindest keine von echter Relevanz und Keine, welche auch wirklich reproduzierbar wären.

Ebenso werde ich hier keine Klangbeschreibungen zum Besten geben, da diese immer sehr individuell sind, diese auch eher zu großem Streit und Frust führen, wenn Jemand das nun mal anders hört. Hier soll der Sache also erst mal strukturiert und technisch fundiert auf den Grund gegangen werden, damit die Tonabnehmer den Rahmen finden, in dem sie sich erstmal technisch vollkommen korrekt verhalten.

Die Charakteristika eines Tonabnehmers werden also ausschließlich von seinen mechanischen und elektrischen Eigenschaften bestimmt.

Mechanisch betrachtet haben wir eine Nadel mit dediziertem Schliff, einen Nadelträger und dessen Aufhängung. Alle Drei zeigen leicht abweichendes Verhalten in Sachen Material, dessen Bearbeitung oder Form (z.B. natürlicher Diamant, Industriediamant oder Saphir, Orientierung des Diamanten, Schliff, Politur, Beschichtung, Ausformung als Stab oder Röhrchen) und natürlich auch beim Eigengewicht oder der durch z.B. Dämpfungsgummi vorgegebenen Compliance aka mechanische Dämpfung.

All das entscheidet unterm Strich über den resultierenden Bewegungsablauf; also die Art und Weise, wie genau die Nadel der Flankenschrift in der Rille folgen kann und wie viel Information (Details) aus der Flankenschrift letztendlich im Musiksignal enthalten sein werden. Je geringer hierbei die schwingende Masse desto schneller/ genauer/ besser kann die Nadel der Rillenflanke folgen.

Auf der elektrischen Seite besteht ein MM- oder MI-Tonabnehmer in seinem natürlichen Umfeld (also an einem Tonarm und an einer Phonostufe angeschlossen) auf den ersten Blick nur aus Spulenkreuz, einem Magneten und ein wenig Kabel.

Das müssen wir aber elektrisch übersetzen und so wird (vereinfacht) aus dem Spulenkreuz eine Induktivität (die Spule an sich) mit einem in Serie zugeschalteten Widerstand (dem Gleichstromwiderstand der Spulenwicklung), dazu parallel geschaltet ein Kondensator (Kapazität von Headshellverkabelung, Tonarminnenverkabelung und Phonokabel zwischen Tonarm und Phonostufe) und der ebenfalls parallel geschaltete Eingangswiderstand und -kapazität in der Phonostufe (z.B. 47k Ω und 100pF).

Bild

Das zugehörige Schaubild entlarvt das Ganze als einen Schwingkreis mit einer Flankensteilheit von 12 dB/ Oktave. bei niedrigen Frequenzen verhält sich dieser Schwingkreis (quasi) linear, bei hohen Frequenzen allerdings kommt es entscheidend auf den elektrischen Abschluss an, ob dieser Schwingkreis sich weiterhin (quasi) linear verhält oder hohe Töne (Frequenzen) lauter (Peak) wiedergegeben werden. Das ist die sogenannte jedem Tonabnehmer eigene Hochtonresonanz, welche man elektrisch übrigens nicht wegschneiden sondern nur außerhalb des hörbaren Bereiches verschieben kann.

Festhalten sollten wir dabei übrigens folgende Beziehungen:
  • je größer die Induktivität der Spule desto früher fällt der Frequenzgang ab bzw. desto eher liegt die Hochtonresonanz im hörbaren Bereich
  • je größer die Kabelkapazität desto früher fällt der Frequenzgang ab bzw. desto eher liegt die Hochtonresonanz im hörbaren Bereich
  • je kleiner der Gleichstromwiderstand der Spule desto größer wird die Amplitude der Hochtonresonanz
  • je größer der Eingangswiderstand in der Phonostufe desto größer wird die Amplitude der Hochtonresonanz
  • je größer die Eingangskapazität in der Phonostufe desto früher fällt der Frequenzgang ab bzw. desto eher liegt die Hochtonresonanz im hörbaren Bereich
Ein TA mit Spuleninduktivität um ca. 500mH gepaart mit einem Phonokabel und Eingangskapazität im Bereich von ca. 300 pF Kapazität an einem normalen 47k Ω abgeschlossenen Phonoeingang ergeben aber rechnerisch bereits einen signifikanten Hochtonanstieg im Bereich von 11 bis 14 kHz und fällt danach mit eben jenen 12 dB/ Oktave ab. Damit sind die Töne um 20 kHz herum gute 12 dB leiser, was ungefähr vierfachem Hörabstand oder eben gut vierfach kleinerer Lautheit dieser Töne entspricht.

Werden aber hohe Frequenzen weniger laut als tiefere Töne wiedergegeben, dann klingt das Ganze dumpf, mumpfig, mit wenig Auflösung evtl. sogar mit weniger Raumempfinden. Liegt die Hochtonresonanz vollständig im hörbaren Bereich, dann ist der Bassbereich und der untere Mittelton unterrepräsentiert, der obere Mittelton zu laut und der Hochton wieder zu leise. Das ergibt ein prinzipiell helles Klangbild mit wenig Auflösung und kleinem Raumempfinden. Liegt die Hochtonresonanz dagegen außerhalb des Hörspektrums, dann sind die Töne aus allen Frequenzbereichen prinzipiell gleich laut und es stellt sich ein sog. harmonisches Hörempfinden und Klangbild ein.

Gut, jetzt werden Viele fragen, ob das Alles wirklich relevant ist? Ja, ist es; doch schauen wir zum Realitätscheck kurz in die technischen Daten einiger Tonabnehmer:
  • ADC XLM II -> Gleichstromwiderstand der Spule = 714 Ω, Spuleninduktivität = 490 mH
  • AT VM 540ML, VM740ML, 750SH, 760SLC -> Gleichstromwiderstand der Spule = 800 Ω, Spuleninduktivität = 460 mH
  • AT 13Ea -> Gleichstromwiderstand der Spule = 1560 Ω, Spuleninduktivität = 609 mH
  • AT 150 ML/ AT-150MLX -> Gleichstromwiderstand der Spule = 610 Ω, Spuleninduktivität = 335 mH
  • Ortofon OM -> Gleichstromwiderstand der Spule = 830 Ω, Spuleninduktivität = 400 mH
  • Pickering XSV 3000 -> Gleichstromwiderstand der Spule = 625 Ω, Spuleninduktivität = 290 mH
  • Shure M75ED -> Gleichstromwiderstand der Spule = 595 Ω, Spuleninduktivität = 750 mH
  • Shure M97Xe -> Gleichstromwiderstand der Spule = 1875 Ω, Spuleninduktivität = 400 mH
  • Shure V15 LT -> Gleichstromwiderstand der Spule = 1850 Ω, Spuleninduktivität = 350 mH
  • Stanton 681 EEE -> Gleichstromwiderstand der Spule = 1230 Ω, Spuleninduktivität = 980 mH
Und wie geht man nun mit der Situation am Besten um?

Da wir die Induktivität und den Gleichstromwiderstand der Spule nicht von außen ändern können, müssen wir an anderen Parametern "schrauben". Dies ist einerseits die Eingangskapazität der Phonostufe (zu messen/ betrachten inkl. der Kabelkapazität) und andererseits der Abschlusswiderstand der Phonostufe an deren Eingang; die hier immer wieder vorzufindenden 47k Ω sind also keine Norm und auch nicht fix. Deshalb finden sich auch bei manchen Herstellern zu deren Tonabnehmern Abgaben zum korrekten resistiven und nicht nur kapazitiven Abschluss.

In der Aufstellung der Tonabnehmer fällt auf, dass der Gleichstromwiderstand der Spulen im Vergleich zu den Eingangsimpedanzen einer Phonostufe (47k Ω = 47.000 Ω) um gut den Faktor 4000 oder mehr kleiner ausfällt. Diesen Parameter können wir also bei unseren weiteren Betrachtungen erstmal vernachlässigen.

Schaltet man den 47k Ω des Phonoeingangs einen Widerstand parallel, so kann man den Wert für die Eingangsimpedanz der Phonostufe reduzieren. Der korrekte Wert läßt sich errechnen. Pi mal Auge und auf Basis verfügbarer Werte aus der E-Reihe/ dem Sortiment aber ergibt sich ein Abschluss von 33k Ω wenn ein 110k Ω Widerstand am Eingang parallel geschaltet wird. Für 22kΩ  wären es 43kΩ , für 13kΩ  wären es 18kΩ , für 12kΩ  wären es 16kΩ  und so weiter. Benötigt man allerdings Werte größer den 47k Ω, dann geht das nur durch Austausch des 47k Ω Widerstandes im Phonostufeneingang. Jeder Metallschichtwiderstand ab 1% Genauigkeit ist hierfür prädestiniert, wer allerdings unbedingt viel Geld ausgeben möchte, der sollte hier auf nicht-induktive und nicht magnetische Widerstände wie z.B. von Dale, Takmann, Vishay achten.

Kabelkapazitäten bewegen sich idR bei unter 100pF bis zu deutlich oberhalb von 100pF pro Meter; ein Kabel mit geringerer Kapazität zu finden ist gar nicht so einfach, wenn man nur nach High End sucht. Deshalb Vorsicht, Boutique-, Voodoo- und High End-Kabel bringen mitunter sogar noch deutlich höhere Kapazitäten ins Spiel.
Da sich die Kapazitäten immer addieren, muss somit die Kabelkapazität immer so klein als möglich ausfallen. Dazu wählt man immer ein niederkapazitives Kabel und kann zusätzlich noch das Kabel so kurz als möglich halten; das TAS-TSK1028 (€2,40/m) von Tasker z.B. hat eine Kapazität von 55 pF/ Meter, das C208-BLUE (€2,50/m) vom gleichen Hersteller bringt 51pF/ Meter mit, ein Sommer Albeido (€10/m) bei 65 pF/Meter, das Supra SUBLINK Audio Blue (€9,50/m) bei 52 pF/ Meter oder das Gotham  GAC-2 AES Ultra Pro (€10/m) 59 pF/ Meter. Ein Cardas Iridium (€325 konfektioniert) dagegen bringt für uns "kontraproduktive" 121 pF/ Meter mit.

Nun haben wir zudem konkret sehr stichhaltige Argumente für anpassbare Eingangskapazitäten und -Widerstände bei Phonostufen, müssen aber der Situation zuerst noch mit ein wenig Mathematik zu Leibe rücken und die für uns passenden Abschusswerte ermitteln. Hierbei sind

R = Gleichstromwiderstand der Spule
L = Induktivität der Spule
C = Gesamtkapazität aus Tonarminnenverkabelung, Phonokabel und Eingangskapazität der Phonostufe
Q = "elektrischer Dämpfungskoeffizient" des Generators
RL = Abschlusswiderstand benötigt für korrekte Bedämpfung (Q = 0,5) des Generators/ Verschieben der Hochtonresonanz außerhalb des Hörspektrums

Bild

oder noch weiter vereinfacht und mit f >> 20kHz sowie Q = 0,5

Bild

Bei einer Gesamtkapazität von 200pF ergibt die ganze Rechnerei dann ungefähr folgende Anhaltspunkte für einen korrekten Abschlusswiderstand einiger Tonabnehmer/ Hersteller:

Grado, Technics EPC-205C MK3 Audio Technica AT-23, AT-24 und AT-25 oder Signet (nur TK9 und TK10) = 10k Ω => 13k Ω parallel zu den 47k Ω des Phonoeingangs schalten
Tonabnehmer mit Induktivitätswerten zwischen 200 und 350 mH wie Acutex, das Pickering XSV 3000 oder aber auch das AT-150 MLX (335 mH) = 24k Ω => 47k Ω parallel zu den 47k Ω des Phonoeingangs schalten
Grace, Ortofon, JVC/ Nivico oder Shure = 30k Ω => 82k Ω parallel zu den 47k Ω des Phonoeingangs schalten
Die modernen AT Abtaster aus der VM Serie (VM 540ML, VM740ML, 750SH, 760SLC/ 460 mH) oder die alten ehrwürdigen ATs mit Line Contact Schliff (AT-125LC, AT.140LC, AT-155LC/ 490 mH), das gut beleumundete AT-20 SLa (450 mH) oder ein AT-440 ML oder MLa (490 mH) dagegen werden sich bei 100 bis 110 pF sowie zwischen 23k Ω und 33k Ω wohl fühlen, was gleichbedeutend mit einem Parallelwiderstand von 43k Ω bis 110k Ω ist.
Gruß

Rolf

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Thargor
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Re: Nachbarschaftshilfe - die MM Kapazitätslehre für einen linearen Frequenzgang

Beitrag von Thargor »

Moin!

Der Abschlusswiderstand von MMs ist häufig völlig unterschätzt / vernachlässigt. Zu beachten ist aber auch, dass es eine Reihe von Systemen gibt, bei denen der Abschlusswiderstand von deutlich mehr als 47kOhm Sinn macht. Ich habe deswegen einen meiner drei Eingänge an der Thöress mit 200kOhm Eingangwsiderstand ausgestattet. Da bist Du dann mit parallelen Widerständen noch etwas flexibler. Das habe ich bei anderen Phonostufen auch schon direkt als Umschalter realisiert.

Ich bin da völlig bei Dir: Es lohnt sich! Manche MMs blühen erst richtig auf, wenn sie richtig angeschlossen sind. Ich will gerne mal ergänzen, was bei mir bisher gut geklungen hat:

200 kOhm - Musicmaker
100 kOhm - z.B. für Grado / manche Shure
047 kOhm - Standard (bei mir immer für den Start)
015 kOhm - Decca / manche MC High-Output
001 kOhm - für MC High-Output

Mein altes Musicmaker ist auf 200kOhm abgegangen.... boah. Und dem Decca taten die 15kOhm auch richtig gut!

:OK: :OK:

PS: Deine Bilder funktionieren nicht?
Viele Grüße von Guido, dem langsamsten Barkeeper der Welt! :drink:

Wann war Dein letztes Live-Konzert?
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haotschmi
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Re: Nachbarschaftshilfe und die korrekte Widerzität

Beitrag von haotschmi »

Moin
Super Rolf. : hail
Aber als knapp siebzigjähriger, dessen Gehör bei Ca. 8000Hz zu macht, bin ich für jede Höhenresonanz dankbar... :uw
Gruß Otto
Tönt die Röhre fein in's Ohr, liegt's bestimmt am Klirrfaktor :idn:
Jochen-H
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Re: Nachbarschaftshilfe und die korrekte Widerzität

Beitrag von Jochen-H »

Hallo,

Superthread! Dank dem, der ihn gestartet hat, und dem, der ihn zusätzlich füttert. Aus dem Bekanntenkreis kann ich berichten, dass ATs gerne eine möglichst geringe Kapazität haben möchten. Wohl dem, dessen Phonopre entsprechend konfigurierbar ist. Ich bin da leider raus. ;)

Viele Grüße

Jochen
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Erzkanzler
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Re: Nachbarschaftshilfe und die korrekte Widerzität

Beitrag von Erzkanzler »

Moin,

da kann mann sich auch mit Y-Adaptern helfen.

LG
Martin
If music be the food of love, play on. (William Shakespeare)
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